Anika: Festhalten und weitersuchen

Nach anderthalb Jahren Arbeitslosigkeit der erste Job, nur ein Mini-Job, aber er ist ok, also festhalten und weitersuchen. Nebenbei ein Fernstudium, das hält den Kopf fit und gibt eine Perspektive. Nach einem Jahr endlich der Museums-Job.

Schnell folgt Ernüchterung, ich bin direkt an den Objekten dran, das wollte ich immer, die Aufgabe besteht allerdings aus drei Handgriffen. Objekt aus dem Schrank holen, Foto machen, messen, wiegen, Objekt zurück an seinen Standort und das ganze plus ein paar historische Angaben aus dem Katalog in die Datenbank eingeben. Festhalten und weitersuchen, das ist die Devise. Drei Jahre.

Inzwischen habe ich mich als Katzenverhaltensberaterin selbstständig gemacht. Natürlich geht es schleppend voran, man muss ja erstmal bekannt werden.

Nach einem Jahr folgen für etwa anderthalb Jahre fast ausschließlich kaputte Objekte. Sie müssen erfasst werden, um zu wissen was da ist, was den Krieg überstanden hat, denn wegen Umbaumaßnahmen müssen sie aus dem Depot. Warum das wichtig ist, ist mir klar, doch tagein tagaus kaputte Objekte. Festhalten und weitersuchen.

Zwei Sensationsfunde zwischendurch, die den Kurator fast schon Luftsprünge machen lassen, da die Objekte als Kriegsverluste galten und nun im hintersten Winkel des Depots wieder aufgetaucht sind, das muss anderthalb Jahre reichen um davon zu zehren. Nebenbei sehe ich den Kollegen zu, die mehr zu tun haben, mehr Verantwortung, die mehr denken dürfen, die andere Aufgaben haben. Aufgaben, die ich auch gerne hätte. Festhalten und weitersuchen. Natürlich bewerbe ich mich fleißig.

Ich merke wie ich immer weniger Lust habe, einen Fuß ins Depot zu setzen, das Aufstehen am Morgen fällt immer schwerer. Psychotherapie und anfangs Antidepressiva erleichtern es, geben die Chance andere Blickwinkel einzunehmen. Inzwischen erfasse ich wieder schönere Objekte, Objekte die ausgestellt werden sollen. Foto, Maße, Gewicht, Datenbank. Festhalten und weitersuchen.

Mit jedem Jahr bin ich öfter krank, so oft wie noch nie in meinem Leben und das immer heftiger. Zuletzt erst Schmerzen am Fuß, erst ist die Vermutung meines Arztes eine überdehnte Achillessehne, dann ein Fersensporn. Das Röntgenbild bestätigt das nicht, die Ärzte finden nichts. Laufen kann ich wieder, gehe zur Arbeit, zwei Tage später kann ich nicht aufstehen, so groß sind die Schmerzen im Rücken, Bereitschaftsarzt kommt, Hexenschuss. Wieder zur Arbeit, festhalten und weitersuchen.

Ich habe mich in den drei Jahren natürlich beworben, es hieß ja auch immer, dass es viel einfacher ist, einen Job zu bekommen, wenn man schon einen Fuß drin hat, doch davon merke ich nichts, ein Bewerbungsgespräch, mehr kam dabei nicht heraus.

Ich merke, wie ich mir immer weniger zutraue, in jedem Bereich. Ich bewerbe mich nicht mehr auf Stellen, auf die ich mich früher selbstverständlich beworben hätte, schließlich wollte ich festhalten und weitersuchen. Doch das Studium liegt weit zurück und seit fast drei Jahren nehme ich nur Maße, wiege, mache ein Foto und gebe das mit ein paar zusätzlichen Angaben in die Datenbank ein. Anderes traue ich mir kaum noch zu, auch wenn ich das in den wenigen Bewerbungen, die ich noch schreibe, ordentlich aufbausche. Katzenberatungen traue ich mir schon gar nicht mehr zu, wer bin ich irgendwem was zu erzählen, mich nimmt mit meinen 1,46 Metern doch eh keiner ernst.

Festhalten und weitersuchen, aber wenn das festhalten dazu führt, dass man sich nicht mehr traut weiterzusuchen?

Während der Arbeitslosigkeit war ich auf so etwas eingestellt, habe mich durch Bücher und Internet fortgebildet, schließlich mag ich es neues zu lernen. Doch jetzt, ich gehe schließlich jeden Tag arbeiten, bin produktiv, schaffe etwas und am Nachmittag fehlt dann die Motivation auch noch was zu lernen.

Dann die Frage vom Chef: will ich meinen Vertrag verlängern? Eigentlich ist es gar keine Frage, er geht davon aus und sagt mir nur, was dazu nötig ist. Festhalten und weitersuchen, also leite ich alles in die Wege um zu verlängern, noch ein Jahr Maße, Gewicht, Foto und Datenbankeingabe. Tagein, tagaus.

In der Nacht darauf geht nichts mehr, es klingt merkwürdig, aber ich kann nicht Pinkeln. Stundenlang muss ich immer mehr, aber ich kann nicht, es geht einfach nicht, ich bin zu verkrampft. Laufen, Badewanne, bringt alles nichts, die ganze Nacht.

STOP

Ich tippe auf dem Handy eine Nachricht an den Chef, damit ich den Text schon habe, damit ich irgendetwas tue. Ich lehne die Verlängerung ab, ich lasse den Vertrag auslaufen, obwohl ich nichts Neues habe. Weil der Job mich kaputt macht.

Festhalten und weitersuchen. Fürs erste nicht mehr mit mir.

Entspannung, Erleichterung.

Nur kurz, immer wieder kommt die Panik hoch, ich wollte doch Festhalten und weitersuchen. Doch zu welchem Preis?

Ich merke, wie ich mir wieder mehr Dinge zutraue, wie ich wieder Ideen habe, mehr Motivation, zwischendurch wieder die Panik, dann zurückdenken an die vergangen Jahre in denen ich immer öfter immer heftiger krank war.

Nein, nicht mehr mit mir. Ich habe die Reißleine gezogen. Keine Ahnung, wo ich lande, aber das Flugzeug, das auf den Berg zurast habe ich verlassen.

Die nächste Bewerbung, zwei Wochen später eine Einladung zum Bewerbungsgespräch, das erste seit anderthalb Jahren, was daraus wird, keine Ahnung, aber ich sehe wieder mehr Ausschreibung, Dinge, die ich mir zutraue, die ich noch vor zwei Wochen verworfen hätte. Egal wohin es geht, es bewegt sich etwas, es herrscht kein Stillstand mehr. Loslassen und weitergehen.

 

07.10.2018, Anika Niemeck

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