quadratisch – praktisch – gut

So gehen heute auch viele an die Hundeerziehung ran.
Hunde kann man trainieren, ergo bringe ich ihnen alles bei was ich brauche.
Grundsätzlich eine gute Idee.
Hunde lernen gern und Welpen auch blitzschnell, „Sitz“ klappt innerhalb weniger Tage und „Platz“ auch fast sofort. Dann also an die ersten Unarten: nicht springen, auch nicht beim netten Postboten der sich immer so freut, nicht bellen, erstrecht nicht im Büro oder der Bahn, nicht freudig aufregen bei einem anderen Hund…

Wir formen den Hund auf unseren Alltag zurecht.
Je schneller desto besser, ist das Motto und viel hilft viel.

Nur hält sich unser junger Hund nicht an unsere Trainingszeiten, denn:

Gelernt wird immer!
Bei der Nachbarin, genau wie beim Postboten und jedem Menschen, den unser Hund neu kennenlernt. Ob auf dem Weg zur U-Bahn, wo wir auf der Straße allein sind, als auch in dem vollen Wagon, ob beim Hund der besten Freundin oder dem alten Schäferhund, der immer durch den Park schleicht. Ob in den 5 Minuten, in denen wir intensiv Leinenführigkeit üben, oder den 30 Sekunden, in denen wir zum Bäcker gezogen werden. Gelernt wird immer.
Je jünger der Hund, umso mehr ist täglich neu und anders, jedes neue Signal wie „Sitz“ und „Fuß“, jedes extra Training mit dem Postboten oder der Leinenführigkeit kommt da noch oben rauf.

Und dann kippt die anfängliche Lernkurve irgendwie… hin zu einem unkonzentrierten Energiebündel, der dauerbellt und wieder in die Wohnung pinkelt.
Start der Pubertät vielleicht?
Also noch mehr trainieren, um das Gelernte zu erhalten und die neuen Macken weg zu bekommen?

Stopp!

Marek als Welpe schlafend 2015

Welpen wie Junghunde brauchen vor allem eines: Zeit, das Gelernte im Schlaf zu verarbeiten.
Und hiermit meine ich 20 bis 22 Stunden Schlaf am Tag.
Zu viele Informationen, zu viel Neues, zu viel lernen gepaart mit zu wenig Schlaf macht wuschig, das kennt jeder von uns, der schon mal in einer Prüfungsphase war oder für den Job durchpowern musste.
Sind wir lange wach, entsteht in unserem Gehirn Adenosin, das macht uns müde. Kämpfen wir gegen die Müdigkeit an, kommt es schnell zur Ausschüttung von Cortisol, ein Stresshormon, das wiederum Auswirkungen auf den gesamten Stoffwechsel und die Organe hat und uns letztlich wach hält (wir kennen das alle, den „Toten Punkt“ überschritten zu haben). Beide Stoffe können allerdings nur langsam wieder im Körper abgebaut werden, viel langsamer als sie entstehen. Sind wir also sehr oft zu lange wach, hat das erheblichen Einfluss auf unsere Gesundheit und unser Auftreten (Quelle: 1*).
Bei Hunden funktioniert das genauso, unsere Gehirne sind da sehr ähnlich.
Symptome für Schlafmangel beim Hund sind zu aller erst überdrehtes Verhalten, dann Konzentrationsschwäche und Einschränkung der motorischen Fähigkeiten. Wird der Schlafmangel langsam chronisch wird der Hund zunehmend hibbeliger, nervöser, reizbarer und letztlich auch aggressiver. Auch das Immunsystem leidet und der Hund wird anfälliger für Krankheiten (Quelle: 2*).

Die Welt um sie herum ist spannend und genauso wie kleine Kinder selten sagen „Ich geh schlafen.“, sondern eher „Ich bin nicht müde!“, suchen sich junge Hunde und auch viele Ältere immer wieder neue Ablenkung: Vielleicht kann ich noch ein Leckerchen abstauben? Vielleicht ist Nachbars Katze wieder im Garten? Vielleicht beachtet mich jemand, wenn ich das Tischbein ankaue?

Sehr schnell kommen sehr viele Reize, sehr viel Neues, auch auf einer kurzen Pipirunde zusammen, der schon erwähnte Postbote kommt gerade beim losgehen, ein Motorrad knattert vorbei, der Zeitungsstapel für das Altpapier weht im Wind genau über den staunenden Hundekopf hinweg.

Höchste Zeit, nach Hause zu gehen und zu schlafen!

Wie soll das gehen? Dann hat man doch gar keine Zeit mehr, mit seinem Hund zu trainieren?

Marek Ende 2015

Auch ein Welpe/Junghund hat schon eine eigene Persönlichkeit, hat Stärken und Schwächen, manches fällt schwer, manches leicht. Wenn wir alles gleichzeitig wollen (das was leicht fällt immer schwerer machen, das was schwer fällt bis zur Erschöpfung üben, das alles noch neben dem neuem Umfeld, den neuen Entdeckungen Tag für Tag), dann machen wir schlicht zu viel.
Viel zu viel.

Dann kommen wir in den Schlafmangel, dann kann unser Hund vor Übermüdung nichts mehr richtig lernen, alles eher fahrig, ob Signal, ob Alltagsreiz oder Sozialisation, alles muss sich durch das stressbelastete Gehirn kämpfen.

Lernen braucht Zeit.

Zeit zum Schlafen, zum Verarbeiten, Zeit im eigenem Tempo in etwas besser zu werden, Stück für Stück kleine Erfolge zu feiern.

Nehmt euch die Zeit und Ruhe im normalen Alltag das was ihr braucht einfließen zu lassen, denn wie gesagt, lernen findet immer statt, nicht nur in von euch erdachten Trainingssituationen.
Seid achtsam wenn ihr mit eurem Hund unterwegs seid, kein Handy, keine Kopfhörer, damit ihr genau jetzt auf ihn eingehen könnt, ihm helfen könnt das Richtige zu lernen und nicht sein Gehirn mit einer extra Trainingsrunde belasten müsst, die in fünf Minuten richten soll, was er schon vorher mehrfach anders abgespeichert hat.
Vor allem gebt eurem Hund genug Zeit zu schlafen, zu ruhen, entspannt zu sein.
Dafür braucht man einen Plan ja, dafür ist es wichtig sich im Klaren zu sein was für das Zusammenleben wichtig ist und zwar wirklich wichtig, nicht schick, nicht das was einem eingeredet wird, sondern was wichtig ist für dich und deinen Hund.
Das im Hinterkopf und dann achtsam und gemeinsam zusammenleben erspart euch und eurem Hund viel.

Und jetzt das wichtigste:
Ihr müsst nicht alles trainieren, auch nicht nebenbei, alles auf einmal ist zu viel, Management ist ein wichtiger Teil vom Zusammenleben, der gern vernachlässigt wird!

Management bedeutet in einer Situation verhindern, dass der Hund etwas lernt, was wir nicht wollen ohne explizit mit ihm zu trainieren.
Kaustangen, Rinderohren etc. zum Beispiel sind tolle Hilfen wenn es wichtig ist das der Hund für einen Zeitraum wirklich still und ruhig ist. Ein Kindergitter oder Kinderlaufstall ist eine großartige Hilfe einen Ruheplatz zu etablieren ohne kleinschrittiges „geh auf deinen Platz und bleib da“ Training. Den Hund einfach mal hochzuheben und aus einer Situation zu tragen, erleichtert das Leben sehr wenn der Hund eine erneute Trainingssituation einfach nicht mehr schaffen würde. Es gibt so viele Möglichkeiten!

Macht euch und eurem Hund das Leben nicht schwerer als nötig.

Natürlich ist es OK und auch absolut sinnvoll bestimmte Signale extra zu trainieren, bestimmte Situationen gestellt, extra zu üben, aber ob mit einem jungen Hund oder einem Erwachsenen, sinnvoll ist es nur wenn genug Kapazitäten da sind!

Wir können unseren Hund nicht in eine Form pressen, nicht jeder Hund kann quadratisch sein und vor allem nicht von jetzt auf gleich!

Marek 2019

1*: https://www.wissenschaft-im-dialog.de/projekte/wieso/artikel/beitrag/was-passiert-bei-schlafmangel-mit-dem-koerper/

2*: https://www.petplan.de/wie-viel-schlaf-braucht-der-hund/